Einigen hat es am Samstag vielleicht die Sprache verschlagen, als sie die jüngste Sachsen-Umfrage zur Landtagswahl in der LVZ gesehen haben. Manchen ist vielleicht vor Freude oder Schreck, aufgrund des Wertes von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Kaffee aus der Nase gekommen. Nun schlachtet die LVZ/DNN jeden Tag die Ergebnisse der Umfrage weiter aus.
Grund genug, sich der Umfrage in einem kurzen Text mit drei Fragen zu widmen, die sich beim Lesen der Umfrage sofort ergeben – auch um Fehldeutungen vorzubeugen.
Ist die Umfrage seriös?
Wie seriös Umfragen sind, ist ohne genauere Kenntnisse der Methode ihrer Erstellung schwer einzuschätzen. Es fällt allerdings auf, dass es außer der Zahl der Befragten und der Darstellung des Befragungszeitraumes keine präziseren Informationen über die Methodik der Umfrage gibt. So bleibt offen, wie die Personen (Telefon / Internet / persönlich) befragt wurden, wie die Auswahl der Befragten erfolgte (Zufallsstichprobe / Quotenauswahl) und ob es sich um die Rohdaten handelt, die veröffentlicht wurden oder diese nachträglich (wie auch immer) modelliert wurden. Mit Blick auf diese Angaben und auf den Umstand, dass das Institut, welches die Umfrage erstellt hat, sicherlich nicht zur Speerspitze der Umfrageinstitute gehört, kann und muss man die Umfrageergebnisse durchaus kritisch hinterfragen.
Gerne wird auch in Bezug auf diese Umfrage dabei auch auf die mangelnde Zahl der Befragten abgestellt und unterstellt, dass eine Umfrage mit 703 Menschen schlicht nicht repräsentativ sei. Das ist falsch und zeigt, wie stark Umfragen von der 1.000+X-Logik der Sonntagsfragen im Bund bestimmt sind. Die Zahl der Befragten entscheidet schlussendlich nämlich lediglich darüber, wie stark der in der Umfrage ermittelte Wert von der Realität (Grundgesamtheit) abweicht. Um das darzustellen, errechnet man sog. Konfidenzintervalle und gelangt zu folgender Erkenntnis:
Bei 700 Befragten bewegt sich der „tatsächliche Wert“ bei einem Umfrageergebnis von 15% in einem Bereich von 12,4% bis 17,6%. Befragt man indes 1.000 Menschen, so bewegt er sich nur noch zwischen 12,8% und 17,2%.
Der Unterschied zwischen 1.000 Befragten und lediglich 700 dergleichen ist also keineswegs so groß, dass man die Umfrage alleine deswegen getrost unter Ulk verbuchen könnte. Gleichwohl macht eine Angabe im Text zur Umfrage auch hier stutzig. Dort heißt es „Jeder vierte Befragte sagt, dass er entweder nicht zur Wahl geht oder nicht weiß beziehungsweise nicht sagen will, wen er wählt.“ – Es ist somit durchaus anzunehmen, dass die Zahl der Personen, die geantwortet haben nicht etwas 703 sondern nur 530 beträgt. Dann liegt der tatsächlich Werte für ein 15%-Umfrageergebnis indes irgendwo zwischen 11,9% und 18,1%. Der Unterschied des Umfragewertes zu einer 1.000er Befragung ist trotzdem nur 1,1 Prozentpunkte nach oben und nach unten.
Allerdings gibt es in der Umfrage erklärungsbedürftige Entwicklungen, die man auch nicht mit der Feststellung eines Religionssoziologen in der LVZ, dass die GRÜNEN gerade bundesweit im Aufwärtstrend sind, erklären kann. Im Vergleich zur letzten Umfrage der DNN sind nahezu alle Parteien in den Werten gleich geblieben. Nur BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN legen um 9 Prozentpunkte zu und die AfD verliert 6 Prozentpunkte. Es ist nicht davon auszugehen, dass plötzlich ein Viertel der bisherigen AfD-Symphatisant*innen ihr Herz für Weltoffenheit und Klimaschutz entdeckt haben und zu den GRÜNEN tendieren.
Natürlich sind Erklärungen denkbar, wie derartige Ergebnisse zustandekommen (CDU fängt sowohl durch die landes- als auch bundespolitische Ausrichtung AfD-Symphatisanten wieder ein, verliert aber durch diesen Rechtskurs deutlich an die GRÜNEN). Allerdings sind solche großen Sprünge zu hinterfragen, zumal der Bundestrend der GRÜNEN bereits im August 2018, dem Zeitpunkt der letzten Umfrage, bei 15% lag. Man sollte also die konkreten Umfrageergebnisse solange nicht für bare Münze nehmen, bis sie nicht durch eine andere Umfrage bestätigt werden.
Was sagt uns die Umfrage dann?
Wenn man Umfragen nicht in detaillierten Prozentergebnissen sondern in Entwicklungen liest, kann man selbst aus dieser Umfrage einiges entnehmen:
Die CDU wird sicherlich bei der kommenden Wahl – Stand jetzt – keinen höheren 30%-Wert erhalten. Der spürbare Rechtskurs fruchtet entweder gar nicht oder führt bestenfalls zu einem Nullsummenspiel, weil gleichzeitig Wählerinnen und Wähler (vermutlich an die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) verloren werden.
SPD und LINKE stehen in Umfragen recht stabil bei ihren letzten Wahlergebnissen. Das ist insbesondere für die SPD aufgrund ihres schlechten Bundestrends und der eher bescheidenen Performance auf Landesebene eine gute Nachricht.
Die FDP muss um den Wiedereinzug kämpfen und die AfD kann bis zur Wahl noch unter 20% fallen (was mit Blick auf das Bundestagswahlergebnis ein beachtlicher Erfolg wäre, zumal die Umfragewerte im Bund derzeit nicht schlechter liegen als das Bundestagswahlergebnis der AfD).
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben als einzige Partei zugelegt und dürften auch in jeder anderen Umfrage deutlich über 10% stehen. Nur ihre Stärke bringt derzeit Dynamik in das sonst relativ starre Umfragebild.
Was kann man aus der Umfrage ableiten?
Auch wenn die Feststellungen alle relativ banal klingen und es auch tatsächlich sind, lassen sich ein paar Ableitungen aus dieser Umfrage durchaus treffen, sofern man sie für habwegs realistisch hält:
1. Es gibt mehr Dynamik in der politischen Landschaft in Sachsen, als man glauben wollte. Es ist nicht alles entschieden und Sachsen keineswegs dem unaufhaltsamen Abgang in den politischen Untergang geweiht. Die aktuelle Umfrage zeigt, dass auch Sachsen sich nicht vom politischen Bundestrend abkoppeln lässt und mit einem aufziehenden Wahlkampf die Starre in den Umfragewerten in Bewegung kommt. Solche Dynamiken können sich verstetigen, was heißt, dass es im Kampf um Mehrheiten für ein moderneres Sachsen jetzt wohl gerade erst losgeht und sich das zarte Pflänzchen eines gesellschaftlichen Aufbruchs in Sachsen Bahn langsam bricht.
2. Allerdings würde Rot-Grün-Rot derzeit vor allem von einem starken GRÜNEN Ergebnis in die Richtung des Möglichen getrieben. Das heißt, es gibt keine lineare Zugewinn-Entwicklung eines vermeintlichen rot-grün-roten „Lagers“, sondern genau genommen nur eine Partei die durch ihre Umfragewerte diese Option in den Rahmen des mathematisch Denkbaren holt. Nur aus der Dynamik von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erwächst derzeit die Chance des Wechsels.
Dies sollte vor dem Trugschluss bewahren, dass ein reiner Lagerwahlkampf diesen Effekt automatisch verstärken würde (vor allem, wenn man sich die Frage stellt, wo die Zugewinne der GRÜNEN herkommen). Die Umfrage zeigt erstmal seit langem, dass es nicht nur Neuverteilungen des ansonsten stabilen rot-grün-roten Kuchens gibt, sondern Zugewinne in andere Wählersegmente.
3. Ein Machtwechsel scheint möglich, wenn ihn alle wollen, aber eben nur dann, wenn die Parteien optimal ihre Wählerinnen und Wähler ausmobilisieren. Dies macht jedoch zwingend eine Unterscheidbarkeit der Protagonist*innen deutlich. Deswegen ist es vor allem notwendig, den Wahlkampf an Inhalten und an einer markanten Unterscheidbarkeit zur CDU, die einen offenen Rechtskurs fährt, aufzubauen, um dadurch bestmögliche Mobilisierungseffekte zu erzielen. Statt eines „Lagers“ braucht es einen inhaltlichen Frame der jene Wählerinnen und Wähler versammelt, die die CDU ablösen wollen – das bloße Lagerdenken müsste durch eine glaubhafte Modernisierungserzählung Sachsens in ökologischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Hinsicht ersetzt werden, die durch die einzelnen Parteien für ihre Wählerschaft tragfähig ausbuchstabiert werden muss.
Da sowohl BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als auch die LINKE sich zu einem Politikwechsel in Sachsen bekannt haben und lediglich die SPD dies, mit Verweis auf die rechnerische Unmöglichkeit, faktisch ausgeschlossen hat, sind nun letztere endgültig in einer Entscheidungssituation. Wenn die SPD weiter in Vasallentreue sich Gedanken über einen Machtwechsel durch ritualisierte Bekenntnisse zur Fortsetzung von Schwarz-Rot verschließt, könnte dies zu einer weiteren Verschlechterung der Ausgangsposition der SPD für die Landtagswahl führen.
Kurzum: Die Umfrage führt vielleicht dazu, dass klarer wird, wer neue Mehrheiten in Sachsen wirklich will, wenn man kann.