Die AfD und das Wahlrecht – ein Trauerspiel mit Sprengstoff

Der Landeswahlausschuss hat heute entschieden, die Landesliste der AfD zur Landtagswahl am 01. September nur zu Teilen zuzulassen.

Der Wahlausschuss erkannte offenbar so erhebliche Formmängel bei der Aufstellung der Liste, dass alle Bewerberinnen und Bewerber ab Listenplatz 19 nicht zugelassen wurden. Hierbei handelt es sich um jene Bewerberinnen und Bewerber, die auf dem zweiten Aufstellungsparteitag der AfD gewählt wurden.

Die Gründe für die Zurückweisung hat die AfD selbst verursacht: Offenbar war man nicht in der Lage, die Aufstellungsversammlungen so durchzuführen, dass die zweite auf der ersten aufbaute. Durchaus ist das wahlrechtlich nicht gerade ein trivialer Akt, da penibel auf die Einhaltung der durch das formstrenge Wahlrecht vorgegebenen Formalia geachtet werden muss; dennoch ist dies möglich und kann von einer bereits im Landtag vertretenen Partei erwartet werden.

Ich kann die Gründe des Landeswahlausschusses vorerst nicht bewerten, da ich weder die Unterlagen kenne, noch anwesend war und derartige wahlrechtliche Fragen hochkomplexe Materien sind. Den Hinweis, dass es schon wieder die AfD ist, die Probleme bei ihren Listenaufstellungen hatte (wie schon 2014) kann ich mir dann aber nicht verkneifen.

Deshalb nur ein etwas ausführlicherer Blick auf die möglichen Folgen der Entscheidung.

Rechtliche Folgen

Die AfD wird sicherlich versuchen, sich gegen die Entscheidung des Wahlausschusses rechtlich zur Wehr zu setzen. Dies ist aber nahezu unmöglich. Gegen die Entscheidung des Landeswahlausschusses gibt es keine Beschwerdemöglichkeit zu einer höheren Instanz, wie dies beispielsweise bei den Kreiswahlvorschlägen möglich ist (Beschwerde zum Landeswahlausschuss nach § 26 Abs. 2 SächsWahlG).

Auch gerichtlich ist der Entscheidung kaum beizukommen. Ein einstweiliger Rechtsschutz gegen die (teilweise) Nichtzulassung einer Landesliste ist nicht vorgesehen.

Der Gesetzgeber geht nach wie vor davon aus, dass derartiges Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens durch den Landtag nach der Wahl ist. Dies ergibt sich aus Art. 45 SächsVerf in Verbindung mit § 48 SächsWahlG und den entsprechenden Regelungen des Wahlprüfungsgesetzes. Ebenso sieht das Sächsische Verfassungsgerichtshofgesetz keine Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Nichtzulassung einer Landesliste vor. Hier sieht § 7 Nr. 5 des SächsVerfGHG lediglich die Entscheidung über den Beschluss des Landtages im Wahlprüfungsverfahren vor. Selbst im Bundestagswahlrecht ist es rechtlich nicht vorgesehen, gegen die (teilweise) Nichtzulassung einer Liste gerichtlich vorzugehen – eine Abweichung von der Überprüfung der Wahl im Nachhinein stellt nur § 13 Nr. 3a BVerfGG dar, der einen solchen Rechtsschutz nur bei der Nichtanerkennung als Partei (nicht die Listenzulassung selbst) vorsieht.

Dass es keinen Rechtschutz gegen Listenzulassungen oder Nichtzulassungen im Vorfeld der Wahl gibt, hat der Sächsische Verfassungsgerichtshof auch 2014 in seiner Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eines (rechtswidrig) von der Liste gestrichenen AfD-Bewerbers nochmal bekräftigt.

Diese scheiterte bereits an der Zulässigkeit. Der Verfassungsgerichtshof verwies auf den Vorrang der Wahlprüfung:

„1. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Landeswahlausschusses ist bereits wegen des Vorrangs der Wahlprüfungsbeschwerde (Art. 45 Abs. 2 SächsVerf i.V.m. § 7 Nr. 5 und § 32 SächsVerfGHG) ausgeschlossen. In Wahlangelegenheiten gilt der Grundsatz, dass Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden können

 

  1. Nach diesen Grundsätzen ist im Fall des Beschwerdeführers durch das Wahlprüfungsverfahren einschließlich der Beschwerde zum Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen die Erhebung der Verfassungsbeschwerde ausgeschlossen.“ (SächsVerfGH: 57-IV-14 (e.A.))

 

Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Landeswahlausschusses verbunden mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung würde somit bereits an der Zulässigkeit scheitern.

Es ist natürlich denkbar, dass die AfD argumentieren wird, dass hier ein solch gravierender Eingriff in die Verfasstheit der Wahl vorläge, dass bereits auf dem Demokratieprinzip hergeleitet werden müsse, dass in diesen Fällen ausnahmsweise bereits vor der Wahl entschieden müsse, um den Charakter der demokratischen Wahl zu sichern. Es ist aber zu bezweifeln ob diese Argumentation aufgrund der Regelungen der Verfassung zur Wahlprüfung und der bisherigen Entscheidungslinie des Verfassungsgerichtshofes auch nur im Ansatz verfangen könnte.

Somit wird die Landtagswahl am 01. September wohl mit der verkürzten AfD-Liste stattfinden.

Sicherlich wird es wohl nach der Landtagswahl ein Wahlprüfungsverfahren zu diesem Vorgang geben. Dazu braucht man kein Prophet sein. Nach § 2 Abs. 2 SächsWprG ist bei der Landtagswahl einspruchsberechtigt: „jeder an dieser Wahl zum Landtag Wahlberechtigte, jede an dieser Wahl beteiligte Partei, jede bei dieser Wahl als Unterzeichner oder Mitunterzeichner eines Wahlvorschlags aufgetretene Gruppe von Wahlberechtigten und in amtlicher Eigenschaft der Landeswahlleiter und der Präsident des Sächsischen Landtages“

 Aus dieser Aufzählung werden sich wohl Menschen finden, die die Wahl im Wahlprüfungsverfahren anfechten. Dann muss der Landtag sich mit der Landesliste, der Aufstellung und der heutigen Entscheidung des Wahlausschusses beschäftigen und über den Einspruch entscheiden. Hält er die heute getroffene Entscheidung für falsch und überdies mandatsrelevant, wäre die Folge dann wohl Neuwahlen.

Wenn der Wahlprüfungsausschuss die Entscheidung des Landeswahlausschusses für richtig hält, dann stünde es den Einspruchsführenden zu, dagegen vor dem Verfassungsgerichtshof vorzugehen. Es ist also möglich, dass sich mit der teilweisen Nichtzulassung der Landesliste der AfD früher oder später der Verfassungsgerichtshof auch tiefer inhaltlich beschäftigen wird.

 

Folgen für die Zusammensetzung des Landtages

Je nach Szenario wird die heutige Entscheidung mehr oder minder große Auswirkungen auf die Zusammensetzung des 7. Sächsischen Landtages haben. Hier sind drei Szenarien denkbar:

 

  1. AfD erhält mehr Direktmandate, als ihr nach dem Wahlergebnis Listenplätze zustünden

Nach der letzten Umfrage hätte die AfD mit ihren 26% im Landtag 34 Sitze erhalten. Sollte sie in dieser Konstellation 35 oder mehr Direktmandate erringen – mithin also Überhangmandate generieren -, wäre die Liste zunächst irrelevant und die Kürzung hätte zunächst auch keine mandatsrelevanten Folgen. Diese würde aber dann relevant werden, wenn ein erfolgreicher Direktkandidat sein Mandat niederlegen würde, dann zöge die Liste in der Form, dass der erste bisher nicht im Landtag vertretene Bewerber der Liste zum Zug käme.

 

  1. AfD erhält über 18 Mandat, jedoch weniger Direktmandate, als ihr nach dem Wahlergebnis Listenplätze zustünden

Diese Konstellation ist wahrscheinlich. Nach der letzten Umfrage hätte die AfD mit ihren 26% im Landtag 34 Sitze erhalten. Erhält sie beispielsweise „nur“ 26 Direktmandate, würden diese von der Liste abgezogen und die verbleibenden 8 Mandate mit den Listenbewerbern in ihrer Reihenfolge besetzt, die kein Direktmandat gewonnen haben.

Sollten hierbei aber vor allem diejenigen Bewerber ihre Direktmandate gewonnen haben, die auf der 18er Liste stehen, wären auf der Liste dann wohl nicht mehr genügend Bewerberinnen und Bewerber, um die noch „offenen“ Mandate zu besetzen. Es greift dann § 6 Abs. 5 Satz 4 SächsWahlG. Dieser besagt: „Entfallen auf eine Landesliste mehr Sitze, als Bewerber benannt sind, so bleiben diese Sitze unbesetzt.“

Laut Art. 41 Abs. 1 Satz 1 SächsVerf besteht der Landtag in der Regel aus 120 Abgeordneten. Das heißt, dass sowohl die Vergrößerung nach oben durch Überhang- und Ausgleichsmandate als auch die Verkleinerung durch freibleibende Listenplätze verfassungsrechtlich zulässig ist.

Die Zahl der Mitglieder des Landtages würde dann für die 7. Legislaturperiode sinken. Das hätte dann auch Folgen für die Mehrheitsbildung.

 

  1. AfD erhält aufgrund des Wahlergebnisses weniger als 18 Mandate

In diesem Fall würde die Liste nicht „überziehen“ können. Entsprechen gäbe es keine Auswirkungen auf die Mandatsverteilung im oder die Größe des Landtages. Um 18 Mandate zu erreichen braucht man ein Wahlergebnis von um die 12,5 %– da liegt die AfD derzeit deutlich darüber, weswegen das wohl ein unwahrscheinliches Szenario ist.

 

wahlpraktische Folgen

Die AfD wird noch härter in den Direktwahlkampf einsteigen und versuchen möglichst mehr Direktmandate zu erringen, als ihre Listenmandate zustünden. Dies gibt dem Wahlkampf nochmal eine weitere Zuspitzung.