De patriae et civitati

Veröffentlicht im Sommer 2012

De patriae et civitati

Was der Patriotismus nicht ist oder sein kann

Pünktlich zur Fußball-EM der Herren gibt es mal wieder eine Diskussion über den Patriotismus, insbesondere die Frage, ob ich in Deutschland eigentlich PatriotIn sein darf. Anlass dafür ist ein auch ein Aufkleber der Grünen Jugend aus dem Jahr 2010, der sich nun medialer Beliebtheit erfreut, mit dem Aufdruck „Patriotismus nein Danke“ und eine entsprechende Pressemitteilung der Grünen Jugend. Daniel Mack, Grüner MdL aus Hessen hat diese Äußerungen der Grünen Jugend zum Anlass für einen offenen Brief an den Bundesvorstand der Grünen Jugend genommen, der sich hier findet: http://danielmack.de/patriotismus-differenziert-betrachten/ Er kritisiert dabei die Grüne Jugend für ihre Haltung und meint, dass man zurecht Stolz auf die Errungenschaften der Bundesrepublik und die Integrationsleistungen Deutschlands stolz sein könnte.

Ähnlich argumentieren auch einige Medien, die sich der Berichterstattung über die Haltung der Grünen Jugend zu diesem Thema angenommen haben. Auch die Grüne Jugend Hessen hat sich in einem offenen Brief an den Bundesvorstand gewandt und sich von dessen Haltung zum Patriotismus distanziert. Mit der GJ-Hessen möchte ich mich im folgenden weniger auseinandersetzen, der Brief ist vielleicht gut gemeint, aber keinesfalls gut gemacht. Der Ansatz, dass die aktuelle Patriotismuskritik mit „linksextremistischen“ Gruppen gleich gesetzt wird, ist mehr als gewagt. Ich will im folgenden auch nicht den Bundesvorstand der Grünen Jugend verteidigen auch in der kritisierten Pressemitteilung sind mir einige Feststellungen zu verkürzt, die Patriotismuskritik an einigen Stellen zu polemisch und dem GJ-Bundesvorstand  müsste auch bekannt sein, dass es Unterschiede zwischen Kausalitäten und Korrelationen gibt. Ich persönlich habe kein wirkliches Problem damit, wenn jemand stolz auf sein Land ist und dabei vielleicht vollkommen zu Recht auf die Errungenschaften dieses Landes verweist. Obwohl man an dieser Stelle fragen muss, ob man überhaupt Stolz auf Dinge sein kann, die man nicht selber vollbracht hat, also Stolz auf ein Land sein kann, in dem man lebt. Wir gehen aber mal stillschweigen davon aus, dass das möglich ist.

Worauf jemand stolz ist, überlasse ich jedem selbst und ich bin auch der Auffassung, dass, wer möchte, gerne seine vermeintliche Liebe zu Deutschland oder einem anderen Land mit Beflaggung ausdrücken kann, auch wenn ich das nicht sonderlich ansprechend finde, geschweige denn selbst tun würde. Aber sind diese Menschen dann sofort PatriotInnen oder sind sie Stolz auf die demokratischen Errungenschaften der Bundesrepublik Deutschland und wollen dies damit zum Ausdruck bringen?Auch ich bin froh in der Bundesrepublik Deutschland und damit in einem freiheitlichen liberal-demokratischen System aufgewachsen zu sein. Ich bin vielleicht sogar in gewisser Weise Stolz auf die demokratischen Errungenschaften Deutschlands und einer liberale, freiheitssichernde Verfassung. Aber bin ich deswegen Patriot? Die Antwort lautet: Nein! Und das liegt schlicht daran, dass Patriotismus eben nicht das ist, als das er momentan proklamiert wird. Es liegt daran, dass die Bewunderung der Leistung einer Gesellschaft, der Stolz auf ihre Errungenschaften nichts mit Patriotismus zu tun hat und umgedreht der Patriotismus nur wenig mit den demokratischen, freiheitlichen oder gesellschaftlichen Errungenschaften eines Landes zu tun hat.

Das Problem ist hierbei die Definition, was Patriotismus eigentlich ist. Der lateinische Begriff „patria“, von dem der Begriff des Patriotismus schlussendlich abgeleitet ist, bezeichnet das Vaterland und der Patriotismus nunmehr die Liebe zum Vaterland. Das Vaterland und damit die Liebe zu selbigen ist herkunftsdefiniert, richtet sich also nach der Frage, wo man herkommt oder aufgewachsen ist oder sich aufgrund der Abstammung zugehörig fühlt. Der Begriff „patria“ bezeichnet somit  klassisch das Land, aus dem man aufgrund seiner Volkszugehörigkeit herkommt. Er bezeichnet aber nicht das politische System oder die Gesellschaft in der man lebt und auf deren Errungenschaften heute häufig bei der Rekurrierung auf einen fröhlichen – aufgeklärten – Patriotismus verwiesen wird. Der Patriotismus ist immer vor allem herkunftsmäßig und staats- und gesellschaftsformunabhängig definiert. Der Patriotismus bezeichnet somit nicht die Liebe zu den Errungenschaften einer Gesellschaft oder eines politischen Systems, sondern die Liebe zum Vaterland unabhängig von seiner freiheitlichen oder gesellschaftlichen oder integrativen Leistung. EinE PatriotIn bekennt sich daher zum Land aufgrund des Lebens in diesem Land, aufgrund der Zugehörigkeit. Es ist kein originäres Bekenntnis zum Staat, zu dessen Institutionen oder zu dessen Verfassung. Die Römer kannten für ihren Staat oder ihr politisches System andere Begriffe (z.B. civita oder res publica) als für  ihr Vaterland (eben patria), was für eine notwendige Differenzierung spricht. Die Definition des Patriotismus als Liebe zum Vaterland ist zudem eher neuzeitlich definiert und spielte in der Antike kaum eine Rolle. Eine Umdeutung dieser Differenzierung schlägt deshalb häufig fehl.

Patria ist eben nicht civita oder res republica, sondern etwas grundsätzlich anderes. Von daher rekurrieren die Menschen, die momentan einen Stolz auf die Errungenschaften der freiheitlichen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland und die demokratischen Errungenschaften der BRD empfinden, in der Regel auf die Errungenschaften der civita und nicht der patria. Die Soldaten der römischen Armee zogen beispielsweise stets unter dem Hoheitszeichen S.P.Q.R. in den Kampf, also für „senatus populusque Romanus“ und somit für den Senat und das Volk von Rom. Sie zogen aber nicht für das römische Vaterland in den Kampf oder starben für das Vaterland, wie es in den Kriegen der jüngeren Geschichte durch die kämpfenden Soldaten oder die staatliche Propaganda verlautbart wurde. Für die römische Bevölkerung spielte vielleicht das Bekenntnis zum Vaterland eine weniger große Rolle als ihre Verbundenheit zur Römischen Republik und der republikanischen Staatsform. Wenn wir heute – zu Recht – Stolz auf die Bundesrepublik Deutschland sind, weil wir die demokratischen Errungenschaften, die Wiederaufbauleistung nach dem II. Weltkrieg, unser Grundgesetz und vielleicht noch vieles mehr schätzen, dann zeugt das nicht von Liebe zum Vaterland sondern vielleicht von Liebe zum politischen System und zur vorherrschenden Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik. Die treffenden Begriffe wären dafür statt des Patriotismus eher der Republikanismus, der aber aufgrund seiner Verwendung in der politischen Theorie und Systemlehre dafür nicht mehr tauglich ist oder aber der Begriff des Civitaismus, der so gut wie gar nicht existiert, welcher aber die in den positiv-fröhlichen Patriotismus interpretierten Leistungen vielleicht besser charakterisieren und abdecken würde als der Patriotismus. Der Civitaismus wäre dann vielleicht der Stolz auf den Staat und nicht auf das Land und damit erweitert die Nation. Das wäre offensichtlich die zum besseren Verständnis notwendige Entkopplung der in den momentanen Debatten in einander geworfenen Liebe zum politischen System von der Liebe zum Vaterland. An dieser Stelle könnte nun trefflich über die Frage der Staatsdefinition gestritten werden.

Die Menge an Staatsdefinitionen, sowohl juristischer  als auch politikwissenschaftlicher, ist groß und keinesfalls kohärent. Ich finde es sinnvoll und für liberale Verfassungsstaaten auch angemessen, den Staat in erster Linie eher im Weberschen Sinne also als Gemeinschaft, die innerhalb eines bestimmten Gebietes das Monopol legitimer physischer Gewalt für sich beansprucht. Der Staat und damit auch die tragende Gesellschaft braucht sich deshalb nicht über ihre Herkunft oder ihr Vaterland definieren, sonder kann es über den Staat als Institutionen und Normengefüge tun. Der Staat ist damit unabhängig von der Herkunftsdefinition seiner EinwohnerInnen. Aber selbst in der bei den Juristen vorherrschenden Staatsdefinition nach Jellinek, bei der sicherlich zu Recht darauf abgestellt werden kann, dass dieser die Existenz eines Staatsvolks als notwendige Bedingung für den Staat sieht, findet sich nicht die Notwendigkeit der herkunftsbestimmten Nation. Staat und Nation können hier zum Nationalstaat werden, dies bedeutet aber auch, dass sie einander nicht bedingen. Auch bei Jellinek ist daher vorstellbar, dass es einen Staat gibt in dem Menschen leben, die zwar ihren Staat lieben, aber sich nicht durch die Liebe oder dem Bekenntnis zu Vaterland auszeichnen. Somit ist ein Stolz auf den Staat als politisches Gebilde durchaus auch dann möglich, wenn man den Stolz auf das Vaterland negiert. Damit muss ich keine PatriotIn sein um stolz auf die Errungenschaften des Staates zu sein. Natürlich kann man jetzt unterstellen, dass das bisher vorgetragene eher Wortklauberei oder eine historisch vielleicht richtige aber heute nicht mehr gültige Analyse ist und sich von der Frage der Flaggen bei der Fußball-EM doch deutlich entfernt hat. Doch Begriffe und deren Verwendung erklären sich aus ihrer Herkunft. Der Versuch nun den Patriotismus zu etwas zu machen, was er qua definitionem nicht ist, wird, wie so häufig beim Versuch Begriffe umzudefinieren, scheitern. Ein Teil der Bevölkerung wird vielleicht die gewollte Umdefinition für sich rezipieren können und wollen und den Patriotismus in Zukunft anders verstehen. Die Gefahr, dass ein großer Teil dies nicht tut, sich aber gleichzeitig darauf beruft, dass der Patriotismus ja nun prinzipiell etwas gutes sei, besteht.  Zudem sollte uns klar sein, dass bei den Debatten über Patriotismus den Begrifflichkeiten höchst unscharf werden und alle denken über das selbe zu Reden, aber von unterschiedlichen Dingen sprechen. Die einen reden vom Patriotismus als fröhlich und verkrampft, während die anderen nunmehr sehen, dass der Patriotismus offensichtlich wieder hoffähig ist und ihr dezidiert nationalistisches und herkunftsdefiniertes Konzept des Patriotismus leben. Von daher sollte man wirklich überlegen, ob man mit dem nun propagierten fröhlichen und offenen Patriotismus wirklich das ausdrückt, was man denkt auszudrücken.

Meiner Ansicht nach irren auch die Menschen die einen Verfassungspartriotismus sehen oder einfordern schon im Ansatz. Ich teile die Überlegungen der Menschen, die einen Verfassungspatriotismus toll finden und ich glaube auch, dass die Identifikation mit den Institutionen und Abläufen in der Bundesrepublik Deutschland und mit dem Grundgesetz als zu Grunde liegenden Normentext notwendig und wünschenswert ist. Aber ich halte den VerfassungspatriotInnen entgegen, dass sie zwar wenn sie vollkommen zu Recht auf die „Liebe“ zur Verfassung, zur gesellschaftlichen Ordnung, zu den Errungenschaften der freiheitlichen Demokratie rekurrieren und dies als neuen Patriotismus sehen, aber nicht wirklich vom Patriotismus sprechen. Was hat den die Liebe zur Ausformung der Verfassung, die Wertschätzung der Grundgesetzes mit dem deutschen Vaterland zu tun? Ist es für VerfassungspatriotInnen nicht genauso vorstellbar, eine ähnliche Werteordnung, eine ähnliche Verfassungsordnung oder ein ähnliches politisches System genauso wertzuschätzen, auch wenn dieses nicht mit der Bundesrepublik Deutschland verbunden ist. Schätzen die VerfassungspatriotInnen sich die freiheitlichen Rechte aufgrund ihrer Liebe zur Freiheit und nicht, weil sie nun im deutschen Grundgesetz niedergelegt sind? Die Annahme des Stolzes auf die Errungenschaften einer Gesellschaft oder eines politischen Systems würde doch bedeuten, dass man sich mit allen anderen Staaten, die ähnliche Erfolge und Errungenschaften auf diese Gebiet vorzuweisen haben abgrenzungsfrei identifizieren könnte. Doch das tun auch Menschen, die sich selbst als VerfassungspartiotInnen bezeichnen eher selten. Was hat diese Liebe mit dem Bezug zum Vaterland zu tun? Eigentlich doch recht wenig. Die VerfassungspatriotInnen lieben doch eher ihr politisches System und dessen generelle Umsetzung als ihr Vaterland. Von daher läuft auch dieses Begriffskonstrukt eher fehl, da es in sich durchaus widersprüchlich ist.

Zum Schluss bleibt auch zu sehen, dass es sicherlich ein schöner Wunsch sein kann, dass alle Menschen, die die Tage mit Deutschland-Flaggen durch die Gegend ziehen oder sie an ihren Autos und Häusern befestigen, stolz auf die freiheitlichen und demokratischen Errungenschaften Deutschlands oder die Integrationsleistung sind. Vielmehr wird es doch eher der Stolz auf Deutschland als das Herkunftsland sein als der Stolz auf die civita. Wenn dies so ist, dann öffnet der Patriotismus, und sei er noch so positiv gemeint, wieder das Tor für nationalistische und angrenzende Bestrebungen. Dann wird der Patriotismus der Versuch sein eine Identifikationslücke der deutschen Bevölkerung zu schließen und ein Angebot zu machen, dem Wunsch nach Kollektivität und kollektiver Identifikation mit dem von der Kritik befreiten vermeidlich guten Patriotismus zu füllen. Das wäre dann der Patriotismus, wie ihn selbst die Befürworter eines fröhlichen Patriotismus kaum haben wollen. Der Versuch der momentanen Umdeutung und vor allem die Unschärfe bei der Trennung, was der Patriotismus ist und was er eben nicht ist, eröffnet diesen bedenklichen und ungewollten Weg. Natürlich muss und darf man nicht im gleichem Atemzug jedem Menschen der aus Anlass der Fußball-EM eine Flagge schwenkt oder ans Fenster hängt, einen überbordenden Nationalismus unterstellen oder einen falsch verstandenen Patriotismus. Wer dies tut, unterschätzt den schlichten Bekenntniswillen großer Teile der Bevölkerung zum Fußballteam ihres Landes. Sie sehen die Flagge als entpolitisiertes Symbol ihrer Fankultur. Das sollte man auch so hinnehmen, auch wenn man berechtigt einwenden könnte, dass man auch das Wappen des DFB statt der Nationalflagge schwenken könnte. Aber genau aus dem Grund dieser Entpolitisierung des Flaggezeigens taugt das Bild, dass nunmehr viele Menschen in Deutschland „unverkrampft“ die Nationalflagge schwenken nicht als Bild eines neuen Patriotismus. Die Menschen sehen sich deshalb nicht als PatriotInnen und verbinden mit dem Zeigen der Flaggen wahrscheinlich auch in vielen Fällen nicht wirklich den Willen patriotisch zu sein. Wenn dies ein Zeichen des neuen fröhlichen und offenen Patriotismus wäre, was machen diese Menschen dann die Zeit außerhalb von Fußball-Europameisterschaften oder Weltmeisterschaften mit ihren Flaggen und ihrem neuen Patriotismus?

Der Begriff des Patriotismus verspricht momentan viel, kann aber real nur wenig leisten und er ist vor allem anfällig für eine ambivalente Interpretationen. Es täte daher den aufgeklärten VerfassungspatriotInnen und den Menschen, die einen fröhlichen und offenen Patriotismus fordern gut, darüber nachzudenken, ob der Patriotismus als Begriff für ihre – in vielen Fällen richtigen – Anliegen überhaupt tauglich ist. Ich meine er kann es nicht sein. Eine Debatte darüber wäre meines Erachtens mehr als notwendig, damit vielleicht in Zukunft klar ist, worauf man Stolz ist, nämlich die Errungenschaften der Demokratie und worauf dann auch nicht, in diesem Fall das Vaterland. Den strikten Ablehnenden des Patriotismus, die gänzlich negieren, dass man Stolz auf die Errungenschaften eines politischen Systems und zum Beispiel auf die Ausformung unserer Verfassung sein kann, muss ich aber an diese Stelle auch entgegenhalten: Ja darauf kann man Stolz sein oder zumindest eine ausdrückliche Verbundenheit empfinden. Wer das negiert, der verkennt, dass selbst in demokratischen Verfassungsstaaten die Verbundenheit zu den elementaren Grundlagen des Staates durch die Bevölkerung notwendig ist und erst die Identifikation damit die Akzeptanz der freiheitlichen Demokratie möglich macht.