Patriotismus – zwischen Anspruch, Wirklichkeit und Gefahr

lle zwei Jahre, anlässlich von WM oder EM, grüßt stets das Murmeltier in Form einer Patriotismusdebatte. So auch unvermeidlich dieses Jahr: Mehr oder minder gute Aktionen, interessante Artikel und vor allem kluge und weniger kluge Reaktionen zum Thema Patriotismus schaffen in Deutschland zumindest für kurze Zeit eine Art Empörungsschaulaufen über die Frage, warum man denn nicht einmal zum Auftritt der Deutschen Nationalmannschaft ordentlich stolz auf sein Land sein darf.

Der Debatte ist vor allem stets eins inhärent. Sie wiederholt sich und wird vielfach Schwarz und Weiß, vor allem aber zumeist – gewollt – undifferenziert geführt. Es folgt meine subjektive Betrachtung auf das Thema, die bewusst hinter die EM als auslösendes Ereignis der jüngsten Debatte gelegt wurde, da jetzt der bessere Zeitpunkt ist, sich dazu grundsätzliche Gedanken zu machen.

Bereits 2012 habe ich einen Artikel zum Patriotismus veröffentlicht. Vieles von dem damals geschriebenen hat nach wie vor Bestand und ist auch in diesen Text eingeflossen. In Anbetracht der derzeitigen gesellschaftlichen Verwerfungen auf der einen Seite und die weitgehend unterbliebenen Debatten bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über die Aufgaben und Rolle des Staates, die auch in der Patriotismusdebatte wieder anklingen, ist dieser Text an einigen Stellen noch etwas grundsätzlicher gefasst.

 

Vorbemerkung 1 – Der Zeitpunkt

Jedes Mal zu bei Fußballmeisterschaften aufkommenden Patriotismusdebatten muss man sich die Frage stellen: Ist das eigentlich der richtige Zeitpunkt das zu diskutieren? Oder gibt es überhaupt einen richtigen Zeitpunkt über Patriotismus zu debattieren? Die Antwort ist einfach: Nein es gibt diesen nicht, es gibt aber sehr wohl viele falsche Zeitpunkte.

Die Partypatrioten, die eine Debatte über Patriotismus stets nur dann führen, wenn es um die riten- und symbolhafte Zurschaustellung der Flagge bei sportlichen Großveranstaltungen geht, entlarven ihr Konzept bereits dadurch, dass es weitaus sinnreicher wäre, unabhängig der Freude über Siege des DFB-Teams, über die Notwendigkeit des Patriotismus zu diskutieren, wenn man diesen ernst nähme.

Diejenigen, die die vorgeblich die ganze Zeit dem Patriotismus frönen, entwerten ihre doch teils recht grundsätzlichen Überlegungen, wenn es plötzlich nur noch um die Frage geht, wer die Nationalhymne zu singen hat und dies dann in der Öffentlichkeit zum Kern einer Debatte über ein durchaus komplexes Konstrukt stilisiert wird.

Grundsätzlich falsch ist es, dann über Patriotismus zu diskutieren und diesen einzufordern, wenn er im Zuge eines mittleren Staatsversagens zum Rettungsanker der Sinnstiftung verkommen soll, wie es bei jeder aus der Sächsischen Union angezettelten Patriotismusdebatte eindrucksvoll zu beobachten ist.

 

Vorbemerkung 2 – Aktion und Reaktion

Im Mittelpunkt der diesjährigen Patriotismusdiskussion stand mal wieder, wie schon vor vier Jahren, eine Aktion der Grünen Jugend. So manch eine Reaktion auf die stets wiederkehrenden Aktionen der Grünen Jugend, mit der diese einen Gegenpol zum Patriotismus setzen will, ist schlicht vorhersehbar. Auch dies scheint sich zur Routineübung des Empörungswettkampfes entwickelt zu haben. Man muss derartige Aktionen ja nicht gutheißen oder toll finden. Dennoch wäre etwas mehr Gelassenheit im Angesicht drängenderer politischer Probleme in der Bundesrepublik angezeigt. Von prominenten GRÜNEN erwarte ich aber zumindest, dass man sich klar hinter die dafür – teils massiv – angegriffenen und angefeindeten Personen stellen, anstatt durch Empörung noch jenen Futter an die Hand zu geben, die an der höchst selbstreferenziellen Frage des Flagge-Schwenkens zur EM, einen Keil in die GRÜNEN treiben wollen. Eine Jugendorganisation, die nicht provoziert kann man auch bleiben lassen.

 

Liebe, Stolz und Vaterland

Wenn wir über Patriotismus reden, dann reden wir über Liebe und Stolz. Zwei große Begriffe, insbesondere, wenn es nicht um eigene Leistungen oder Emotionen gegenüber Personen geht. Grundsätzlich kann und darf jeder stolz sein, worauf er oder sie will. Und wer seine vermeintliche unabdingbare Liebe zu Deutschland oder einem anderen Land mit Beflaggung ausdrücken will, der kann dies gerne tun. Jedoch sollte man tunlichst vermeiden, diese Form des Individualbekenntnisses zum erstrebenswerten Staatsziel oder zur politischen Forderung zu erheben. Denn der individuelle Stolz auf die eigene Nation speist sich wohl doch nur in wenigen Fällen aus der Identifikation mit der Staatsform, dem Grundgesetz oder den freiheitlich-demokratischen Errungenschaften unseres Landes, sondern vielmehr aus einem vollkommen werteungebundenen individuellen Bekenntnisdenken.

Ob man sich als Patriot fühlt, ist nämlich eine Selbstzuschreibung. Diese muss nicht immer richtig sein und nicht wenige selbsternannte Patrioten sind alles andere als stolz auf demokratische Errungenschaften, sondern möchten diese eher bekämpfen. Oder, warum sehen sich eigentlich all jene als gute Patrioten, die es nicht einmal schaffen, auch nur im Ansatz für die Werte unseres Grundgesetzes zu stehen und diese zu leben (AfDler, Pegida)?

Wer also glaubt, dass eine Masse von Menschen, die selbst zur – teils irrwitzigen – Überzeugung gelangt ist, sie seien gute Patrioten, auch nur im Ansatz in der Lage wären, Ausdruck positiver Errungenschaften der Bundesrepublik Deutschland zu seien, irrt schon alleine deshalb, weil hier eine schlichte Überinterpretation des individuellen Gefühls und Bekenntnisses erfolgt.

 

Der Staat und das Vaterland

Das Problem ist hierbei schon die Definition, was Patriotismus eigentlich ist. Der lateinische Begriff „patria“, von dem der Begriff des Patriotismus schlussendlich abgeleitet ist, bezeichnet das Vaterland und der Patriotismus nunmehr die Liebe zum Vaterland. Das Vaterland und damit die Liebe zu selbigen ist herkunftsdefiniert, richtet sich also nach der Frage, wo man herkommt oder aufgewachsen ist oder sich aufgrund der Abstammung zugehörig fühlt. Der Begriff „patria“ bezeichnet somit klassisch das Land, aus dem man aufgrund seiner Volkszugehörigkeit herkommt. Er bezeichnet aber nicht das politische System oder die Gesellschaft in der man lebt und auf deren Errungenschaften heute häufig bei der Rekurrierung auf einen fröhlichen – aufgeklärten – Patriotismus verwiesen wird.

Der Patriotismus ist immer vor allem herkunftsmäßig und staats- und gesellschaftsformunabhängig definiert. Er bezeichnet somit nicht die Liebe zu den Errungenschaften einer Gesellschaft oder eines politischen Systems, sondern die Liebe zum Vaterland unabhängig von seiner freiheitlichen oder gesellschaftlichen oder integrativen Leistung. EinE PatriotIn bekennt sich daher zum Land aufgrund des Lebens in diesem Land, aufgrund der reinen Zugehörigkeit zum Volk. Es ist kein originäres Bekenntnis zum Staat, zu dessen Institutionen oder zu dessen Verfassung. Die Römer kannten für ihren Staat oder ihr politisches System ganz andere Begriffe (z.B. civita oder res publica) als für ihr Vaterland (eben patria), was schon für sich für eine notwendige Differenzierung spricht.

Die Definition des Patriotismus als Liebe zur Nation ist zudem eher neuzeitlich definiert, spielte in der Antike eine weniger große Rolle und ist untrennbar mit den nationalstaatlichen Entwicklungen der letzten drei Jahrhunderte verbunden, in der die Einheit zwischen Staat und Nation im Nationalstaat verschmolzen. Der Versuch einer Umdeutung dieser Differenzierung schlägt deshalb häufig fehl.

„Patria“ ist eben nicht „civita“ oder „res republica“, sondern etwas grundsätzlich Anderes. Von daher rekurrieren die Menschen, die momentan einen Stolz auf die Errungenschaften der freiheitlichen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland und die demokratischen Errungenschaften der BRD empfinden, in der Regel auf die Errungenschaften der „civita“ und nicht des „patria“.

Dies mag Wortklauberei sein, aber zum einen kann und sollte man so entscheidende Konstrukte wie das des Patriotismus stets auch aus ihrer Herkunft erklären, um auch deren Zweckentfremdung aufzuzeigen. Zum anderen schlagen Begriffsumdeutungen historisch häufig fehl. Auch der Versuch den Begriff der Patriotismus zu etwas zu machen, was er nicht ist (Bekenntnis zur staatlichen Grundordnung) wird scheitern, egal ob man nun Party-Patriot oder Verfassungspatriot sein will.

 

Die Fahne und der Patriotismus

Was hat das Schwenken der Fahne mit Patriotismus zu tun? Eigentlich nichts. Grade im Umfeld von EM oder WM gilt: Das Wedeln mit dem deutschen Staatssymbol ist vom Bekenntnis zum Staat selbst zum bloßen bedeutungsleeren Bekenntnisritual der Massen bei einer sportlichen Großveranstaltung transzendiert. Wer glaubt, dass mit dem Verwenden von Schwarz-Rot-Gold beim überwiegenden Teil der Bevölkerung tatsächlich ein positives Bekenntnis zur Deutschen Nation verbunden wird, der irrt. Die deutsche Flagge ist vielmehr zu einem Symbol des Ausdrucks von Verbundenheit mit der Nationalmannschaft. Jeden aufrechten Patrioten müsste es überdies mit Schaudern erfüllen, wenn er sieht, was man mit dem staatlichen Hoheitszeichen so alles als Fußball-Fan anstellt oder wenn er auf der anderen Seite sieht für welche „undeutschen“ Werte mit wehender Fahne eingetreten wird.

Wer also das Schwenken der Flagge oder das Zeigen der Nationalfarben als Patriotismus neuer Prägung sieht, der verkennt, dass es hier mehr um Bekenntnisrituale als um den Stolz auf Vaterland und Nation geht. Und nichts ist dabei selbstentlarvender als die von Manchen geprägte Zuschreibung für diese Form nationaler Wallungen als Partypatriotismus. Wenn es den Patriotismus nur siegestaumelnden Rausch des Ballsportes gibt, entleert man den Begriff vollkommen und lässt ihn ungewollt zur inhaltsfreien Floskel werden.

Man kann sich vor diesem Hintergrund nur wundern, wie selbst ernannte Patriotismusexperten in Anbetracht der Fahnenmeere über den neuen unverkrampften Patriotismus der Deutschen frohlocken. Wenn dies patriotisch ist, dann ist der Begriff erfolgreich so sinnentleert worden, dass man ihn getrost auf den Müllhaufen der Leitideen werfen kann.

 

Der Patriotismus und die Gefahr

Wenn die Forderung nach mehr Patriotismus inhaltsleer und eigentlich tot ist, dann kann man ja die Debatte darum, ob er denn gefährlich ist, getrost beenden – wegen der Annahme der Irrelevanz. Dies wäre allerdings ein Fehlschluss. Denn genau aus seiner inhaltsleere, Fehlinterpretation und bewusster Fehldeutung erwächst die eigentliche Gefahr des Patriotismus, da er erst so beliebig mit individueller Bedeutung aufgeladen werden kann. Wenn alle meinen, er sei gut und auch gelegentlich notwendig, doch jeder darunter etwas Anderes versteht, dann ist ein Zustand erreicht, wo viele das gleich ausdrücken, aber längst nicht dasselbe meinen.

Ist jeder, der in Schwarz-Rot-Gold zu einem Fußballspiel geht, ein Nationalist? Nein, der übergroße Teil ist es sicher nicht! Aber es werden auch Nationalisten darunter sein, mit Sicherheit auch der ein oder andere Neonazi. Aber gerade ihnen öffnet man durch die Möglichkeit endlich einmal unverkrampft stolz auf das Land zu sein das Scheunentor zur Selbstermutigung. Die einen reden vom Patriotismus als fröhlich und verkrampft, während die anderen nunmehr sehen, dass der Patriotismus offensichtlich wieder hoffähig ist und ihr dezidiert nationalistisches und herkunftsdefiniertes Konzept des Patriotismus leben. Dann tritt zur kollektiven Selbstüberhöhung der Nation das Gruppengefühl der Stärke gegenüber anderen, die nicht zur Gruppe gehören. Diese Masseneffekte sind hinreichend soziologisch belegt und somit erwächst dann das kollektive Flagge schwenken tatsächlich zu Gefahr. Dann ist tatsächlich der Nährboden für Abwertung, Hass und auch konkrete Gewalt gelegt. Teils ganz unbewusst und ungewollt, weil man Räume geöffnet hat, die man eigentlich nicht wollte.

Von daher sollte man wirklich überlegen, ob man mit dem nun propagierten fröhlichen und offenen Patriotismus wirklich nur das ausdrückt, was man denkt auszudrücken.

 

Der Patriotismus als Lückenbüßer

Alle Jubeljahre entdeckt die CDU den Patriotismus wieder für sich, selbst dann, wenn nicht unbedingt Fußball gespielt wird. Ausgerechnet passiert dies allerdings immer dann, wenn der CDU alle anderen Ideen ausgegangen sind, wie man krisenhafte Vertrauensverluste in die Regierung abfedern kann. Der Patriotismus muss dann als Lückenbüßer für Ideen- und Konzeptlosigkeit herhalten.

Der Verlust von Steuerungsfähigkeit soll durch das Bekenntnis zu etwas Großen, zu einer vereinenden starken Idee kompensiert werden. Getreu dem Motto: Wenn der Staat versagt, appellieren wir an die Emotion und den Stolz auf die Nation, damit wir von der Unzulänglichkeit der Regierenden ablenken können.

Vor allem diese Form des Anknüpfens an den Patriotismus ist im höchsten Maße gefährlich. Sie soll eine – zweifelsohne bestehende – Identifikationslücke schließen. Wenn aber in der aktuellen, teils krisenhaften Situation ausgerechnet auf ein Konstrukt gesetzt wird, dass lediglich die staatliche Hülle der Nation zum Maßstab aller Verbundenheit machen will und damit erfolgreich den viel entscheidenderen Kern einer wertegebundenen Grundordnung der Gesellschaft in den Hintergrund drängt, dann setzt man genau an der falschen Stelle an, gleichwohl aber an der einfacheren. Diese Form des Lückenschlusses ist nichts weiter als der Versuch ein schwelendes Feuer mit Öl zu löschen. Er kann nur schiefgehen, da all jenen Tür und Tor geöffnet werden, die eben nicht für die demokratischen Errungenschaften sondern für die Überhöhung der Nation und damit implizit auch für die Abwertung anderer stehen.

Es wird auch dann nicht funktionieren, wenn man der Meinung ist, man können Begriffe besetzen und damit diese anderen streitig machen (z. B. „Man darf der AfD den Patriotismus nicht überlassen“). Es ist in der Vergangenheit höchst selten gelungen, Begriffe in dieser Art zu besetzen, ohne ungewollte Kräfte noch hoffähiger zu machen, die sollten wie spätestens aus der Übernahme von Pegida-Forderungen in Teilen der Politik gemerkt haben.

 

Brauchen wir den Patriotismus als taugliche Sinnstiftung?

Auch moderne Demokratien kommen nicht ohne eine positive Identifikation mit der Grundordnung ihres Staates aus. Ein Staat als bloße funktionale Hülle, der keine Identifikation erfährt, läuft stets Gefahr in den Augen der Bevölkerung zu versagen, da es keinen positiven und mitunter auch emotionalen Erhaltungsbezug durch die Mehrheit der Bevölkerung gibt. Folglich kommen wir auch in Deutschland nicht um die zentrale Frage herum, wie wir Identifikation mit unserer liberal-demokratischen Rechtsstaat schaffen. Weder Gründungsmythen der Bundesrepublik noch unser Grundgesetz können derzeit diese Identifikationsleistung in notwendigen Maße erbringen. Über die Gründe lohnt es sich zu streiten und auch über, das gerade aber nicht nur im Osten der Republik vorherrschende – falsche und übermäßige – Anforderungsdenken an die Aufgabe des Staates. Dies würde jedoch den Rahmen dieses Textes sprengen.

Der Patriotismus kann diese Sinnstiftung keineswegs leisten. Dies resultiert daraus, dass die Bewunderung der demokratisch-freiheitlichen Leistungen einer Gesellschaft nichts und zwar gar nichts mit Patriotismus und umgedreht der Patriotismus nur sehr wenig mit Demokratie, Freiheit und gesellschaftlichen Errungenschaften zu tun hat. Er kann also schon aus der inhärenten Logik des Bekenntnisses zum Vaterland statt zur staatlichen Ordnung keine Sinnstiftung für letztere entfalten. Er kann höchstens eine Sinnstiftung mit einer von demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen vollkommen unabhängigen Nation als Selbstzweck leisten. Dies ist aber der genau falsche Weg da er zu einer weiteren Entkernung unserer und Entfremdung von unseren republikanischen Werte führt.

Wer den Patriotismus beschwört, drückt sich um die Frage, wie wir eine stärkere positive Identifikation mit Rechtsstaat und Demokratie in der Bundesrepublik schaffen, was zweifelsohne wirkmächtiger sein würde als jede Patriotismusdebatte. Diese zu beantworten wäre jedoch eminent wichtig.

Es ist schlicht der einfachere Weg an den Stolz auf die Nation zu appellieren, als sich für ein Bekenntnis zu den Werten unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung einzusetzen und dieses auch vorzuleben. Dies bedeutet nämlich zu erklären, zu vermitteln und Haltung für die Grundzüge einer Staatsordnung einzunehmen und diese – als nicht immer einfache – lohnenswerte Pfeiler unseres Gemeinwesens aufzuzeigen.

 

Republikanismus statt Patriotismus

Statt einer irrwitzigen Scheindebatte über den Patriotismus brauchen wir in Deutschland eine Debatte über die stärkere republikanische Ausrichtung unserer Gesellschaft.

Gerade jetzt fordern Viele eine stärkere Bindung der Menschen und Deutschland zu unserer Werteordnung. Wir brauchen eine Renaissance des Republikanismus in Deutschland, der eine Wertebindung lebt und einfordert und den Bürgerinnen und Bürgern eine Identifikationsfigur ist.

Es muss Aufgabe eines neuen liberalen Republikanismus sein, den Glauben an Institutionen zu stärken, Rolle des Bürgers in der Demokratie und dem Rechtsstaat stärker zu definieren und dadurch Gemeinsinn zu stiften. Unsere Werteordnung muss als etwas postuliert werden, für das es sich zu kämpfen, zu streiten und zu leben lohnt und deren Ausgestaltung vom Handeln jedes Einzelnen abhängt. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland stärker verdeutlichen, dass der Staat kein losgelöstes Funktionsgebilde ist, sondern von den Menschen in ihm geprägt wird. Dies bedeute auch unsere Verfassungsordnung zu leben und stets zu verwirklichen, auch und gerade wenn so manche politisch-strategische Überlegung anderes näherliegend erscheinen lässt.

Ein Land, in dem die Bürgerinnen und Bürger auf die Leistungsfähigkeit der Institutionen und der Verfassungsordnung vertrauen und diese auch verwirklichen wird um ein vielfaches stabiler sein als jenes, dass sich zum Lückenschluss dem Anknüpfen an einfache Begriffe und untaugliche Konstrukte hingibt.

 

Der Patriotismus und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das beste und stärkste Bekenntnis zu unserer Werteordnung ist das Leben und stetige Eintreten für diese und nicht das Schwenken der Flagge, das Singen der Hymne oder das Behaupten, stolz auf das Land zu sein. Patrioten verteidigen die Hülle, wahre Republikaner den Kern unseres Gemeinwesens.

Wer in Anbetracht der aktuellen Steuerungsverluste des politischen Systems den Patriotismus für die Lösung hält, sucht sich den einfachsten und damit auch gefährlichsten Weg. Er verkennt, dass das Bekenntnis zum Nationalstaat frei vom politischen System sein kann. Das Hoffen auf den Patriotismus ist die falsche Antwort zur falschen Zeit und kann Gefahr laufen, die Probleme, weswegen man den Patriotismus als Lösung herbeizaubert, zu verstärken. Gerade in den aktuellen Zeiten, in dem zu einem die Instrumentalisierung von Teilen der Bevölkerung durch vereinfachende Nationsapologetik stattfindet und zum anderen ein stärkeres Einstehen für eine freiheitliche Werteordnung gefordert ist, bietet das Propagieren des Patriotismus die große Gefahr, das erstere zu befördern und letzteres zu verhindern. Im Bewusstsein dieses Problems sollten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lieber den Finger von Gedankenspielen über den unverkrampften deutschen Patriotismus lassen, egal aus welchen vermeintlich guten politischen Gründen oder Überlegungen.

Es ist vielmehr unsere Aufgabe als GRÜNE daran zu arbeiten, dass wir die Debatte hin zu einem neuen republikanischen Denken in Deutschland führen, damit unserer liberal-demokratischer Rechtsstaat wieder eine stärkere Sinnstiftung erfährt – mit einem positiven Bekenntnis zum Rechtsstaat und seinen Instruktionen und mit einer klaren Haltung gegenüber der Bevölkerung, dass unsere Staatswesen nur gelingen kann, wenn wir für die Grundwerte eintreten und diese von den Bürgerinnen und Bürgern auch gelebt wird. Diese notwendige Debatte sollten wir lieber nicht mit Randdiskursen über Party-Patriotismus oder Heimat übertünchen, sondern uns ihr in Zukunft offensiver stellen.