Man hätte es kommen sehen können – Einige Betrachtungen auf das Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern

Das Wahlergebnis in Mecklenburg Vorpommern ist für alle demokratischen Parteien ein neuerlicher Schock, wenngleich wohl kaum einer mit einem anderen Ergebnis gerechnet haben dürfte. Die AfD erreicht zum zweiten Mal ein Ergebnis von über 20 % in einem Bundesland. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind erstmals seit fünf Jahren nicht mehr in allen Landtagen der Bundesrepublik vertreten. Die LINKE verliert in der Wählergunst mittlerweile so deutlich, dass ihr der Nimbus als „Volkspartei im Osten“ endgültig abhandenkommt. Einziger Lichtblick der Landtagswahl: Die NPD ist in keinem Landtag mehr vertreten. Ihren Niedergang hat nicht das Bundesverfassungsgericht sondern haben tatsächlich die Wählerinnen und Wähler besiegelt.

Die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern war zudem wieder eine klassische bundestrend-induzierte Wahl, anders als die Wahlen am 13. März, die jeweils noch starke bundeslandspezifische Komponenten aufwiesen. Dennoch zeigen sich ähnliche gravierende Entwicklungen, wie bereits bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, die im Folgenden einer kurzen Betrachtung unterzogen werden.

Die SPD – gerade noch mal gut gegangen

Die Landtagswahl ist zumindest im Endergebnis für die SPD gerade noch mal halbwegs gut gegangen. Ein Wahlergebnis von 30 % ist für die Sozialdemokratie im Osten mittlerweile mehr Leistung als Selbstverständlichkeit. Sie hat sich von den zwischenzeitlich deutlich schlechteren Umfragewerten im unteren Zwanzigerbereich wieder hochgearbeitet und konnte sich – wenn auch schlechter – stabilisieren. Ein Erfolg ist das Wahlergebnis gleichwohl nicht. Die Sozialdemokraten sind viel mehr die Besten unter den Verlierern der Wahl. Die Popularität des Ministerpräsidenten und vor allem die Schlussmobilisierung durch die Sorge vor einer AfD als stärkste Kraft, haben dieses Ergebnis maßgeblich getragen.

Die CDU – die Wählerinnen und Wähler wählen das Original

Das Wahlergebnis der CDU ist ein Debakel und natürlich, trotz der geringen Bedeutung Mecklenburg-Vorpommerns für die Bundesebene, eine schwere Hypothek für Angela Merkel. Die CDU hat wesentliche Teile ihrer Wählerinnen und Wähler an die AfD verloren und das trotz eines stark abgrenzenden Kurses der mecklenburg-vorpommerschen CDU gegenüber der Politik der Bundeskanzlerin. Dies zeigt einmal mehr, dass die mitunter plumpen Rettungsversuche der Union (Burka-Verbot, doppelte Staatsbürgerschaft abschaffen, Obergrenzendebatten), die Stimmverluste an die AfD durch ein „rechts blinken“ zu kompensieren, kaum fruchten.

Das Ergebnis der Landtagswahl setzt die CDU daher massiv unter Druck, sich endlich für eine Richtung zu entscheiden, anstatt herum zu lavieren, wobei deutlich geworden ist, dass eine Anbiederung an die AfD mit wenig Erfolgt belohnt werden dürfte. Es ist aber kaum zu erwarten, dass sich diese Erkenntnis bei der CDU vollständig durchsetzen wird.

DIE LINKE – „Volkspartei im Osten“ ade

Das Wahlergebnis der LINKEN dürfte erneut eine mittlere Katastrophe darstellen. Nicht nur die massiven Verluste destabilisieren endgültig die Selbstzuschreibung der Linken als eine Art „Volkspartei im Osten“ – das Bild aus Sachsen-Anhalt setzt sich hier unumwunden fort –, sondern vor allem die Erkenntnis vertieft sich, dass es eine erhebliche Wählerwanderung von der Linken hin zur AfD gibt. Diese Erkenntnis ist vor dem Hintergrund der Wählerschaft der Linken wenig überraschend (schon seit je her waren Teile der LINKEN-Basis alles andere als emanzipatorisch eingestellt, nur fehlte ihnen bisher schlicht die Alternative). Das neuerliche Ergebnis bringt DIE LINKE in problematische Fahrwasser und stellt sie nun endgültig vor die Entscheidung, ob sie mit einem weltoffenen, emanzipatorischen Kurs weiterhin spezifische Wählerschichten an die AfD verliert und damit zu einer mittleren Milieupartei im Osten absteigen wird oder ob sie Teile des linksurbanen Milieus aufgibt und mit einem starken populistischen Kurs versucht, ihre bisherigen Wählerinnen und Wähler bei der Stange zu halten. Trotz aller Beteuerungen in der LINKEN, dies nicht tun zu wollen, wird die Partei an dieser Diskussion nach der zweiten krachenden Wahlniederlage im Osten nicht vorbeikommen.

Die AfD – das Sammelbecken der Unzufrieden und der Rechtsextremen

Die AFD hat erneut ein fulminantes Ergebnis erreicht. Teilweise scheint man in Mecklenburg-Vorpommern vor allem froh darüber zu sein, dass sie nicht sogar stärkste Kraft geworden ist. Es bleibt die Erkenntnis, sich schon am 13. März gezeigt hat: Dass Menschen, die unzufrieden mit dem politischen System als solches sind, in der Vergangenheit vor allem die Nichtwahl als primäre Option vorgezogen haben. Diese haben nun ihre Heimat bei der AfD gefunden, die ihnen vermittelt, das Heil auf Erden für die Unzufriedenen zu bringen und somit den Kristallisationspunkt für enttäuschte Wählersegmente bildet.

Hinzu tritt die unübersehbare starke Zahl an Wählerinnen und Wählern, die sich von der NPD hin zur AfD bewegt haben. Die AfD ist damit endgültig zum Sammelbecken der „Unzufriedenen“ mit dem System, der Rechtspopulisten und Rechtsextremen – kurzum zum Nukleus und parlamentarischen Arm der antirepublikanischen Bewegung – geworden. All jene Annahmen über die Wählerstruktur der AfD, die sich nach den Wahlen im Frühjahr gebildet haben, wurden durch den Urnengang in Mecklenburg-Vorpommern bestätigt.

 

Vier Erklärungsansätze für das Wahlergebnis der GRÜNEN

Das Wahlergebnis von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Mecklenburg-Vorpommern ist mehr als nur bedauerlich. Die Phase der flächendeckenden Vertretung der GRÜNEN in allen Landesparlamenten hielt nur fünf Jahre. Es ist uns nicht gelungen, das Ergebnis von 2011 zumindest auf einem 5%+x-Niveau zu stabilisieren. Warum hat es nicht gereicht? Im Folgenden sind vier Ansätze beschrieben. Bewusst wird zunächst auf eine Analyse der sicherlich nicht zu leugnenden eigenen Fehler (Themen, Kampagne, Bekanntheitsgrad des Spitzenpersonals) verzichtet, da es hierfür mehr als nur 24 Stunden der Überlegung benötigt.

1.) Schlechte strukturelle Voraussetzungen in MV

Mecklenburg-Vorpommern ist das Bundesland mit den wahrscheinlich schwierigsten Voraussetzungen für GRÜNE. Nur 570 Mitglieder auf großer Fläche. Neben nur einer Großstadt (Rostock) existieren in MV lediglich acht Mittelstädte (selbst in Sachsen-Anhalt, das von den strukturellen Voraussetzungen als ähnlich schwierig zu bewerten ist, ist die Zahl der für uns wichtigen Groß- und Mittestädte deutlich höher [2 Großstädte; 24 Mittelstädte]). Dazu kommen ein verhältnismäßig geringer Anteil von jungen Menschen und Studierenden im Nordosten und damit das Fehlen einer primären Stütze der GRÜNEN Wahlergebnisse. Auch die kommunale Verankerung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist weit schlechter ausgeprägt als in anderen Bundesländern.

Bei Lichte betrachtet war also Mecklenburg-Vorpommern das Bundesland, in dem die Wahrscheinlichkeit am höchsten war, gerade in der aktuell zugespitzten politischen Lage, aus dem Landtag zu fliegen. Umgekehrt: In Mecklenburg-Vorpommern als GRÜNE sicher in den Landtag zu gelangen, ist derzeit ein Kraftakt und eine beachtliche Leistung.

2.) Das Wahlergebnis von 2016 ist im Wesentlichen die Konsolidierung der Überbewertung der GRÜNEN aus dem Jahr 2011.

Das Ausscheiden aus dem Landtag lässt sich zu erheblichen Teilen mit schlichter Logik und Mathematik erklären. Allen war klar, dass das gute Wahlergebnis 2011 aus einer besonderen politischen Situation der ausklingenden bundespolitischen Energiepolitikwelle resultierte. Mit Blick auf das Ergebnis 2006 (lediglich 3,4%) musste schon damals festgehalten werden, dass es für die vor fünf Jahren erzielten 8,7% faktisch keine nennenswerte strukturelle Grundlage in Form einer soliden StammwählerInnen-Basis gab. Diese konnte auch innerhalb der vergangenen fünf Jahre nicht aufgebaut werden, wenngleich es sich beim aktuellen Wahlergebnis immerhin um das drittbeste seit 1990 handelt.

Die Landtagswahl 2011 war stark durch die Bundespolitik und die Nachwirkungen des Atomunglücks in Fukushima geprägt. Ein einfaches Rechenbeispiel, kann diese Dimension der Interdependenz sehr gut verdeutlichen und zumindest einen wesentlichen Erklärungsansatz extrahieren:

Als in Mecklenburg-Vorpommern 2011 gewählt wurde, lagen die Bundesumfragen der von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei noch teilweise über 18 %. Heute sind es – gut gemeint – noch 12 %. Das entspricht rechnerisch ungefähr 2/3 des Wertes von 2011. Bei den jetzigen Landtagswahlen erreichten die GRÜNEN im MV mit 38.834 Stimmen exakt 65,8 % der Absolutstimmen, die sie noch 2011 erhalten hatten (59.004). Das ist nah an dieser 2/3-Schwelle. Es gab also 2011 eine massive Abhängigkeit vom damaligen Bundestrend. Das entsprechende Landtagswahlergebnis war demnach überbewertet und ließ sich sowieso nicht mehr wiederholen. Fünf Jahre später haben wir es mit einem klassischen Konsolidierungseffekt zu tun. Den darüber hinausgehenden Rest dürfte der nächste Punkt verschuldet haben

3.) Der Zug-Effekt der SPD

Wie schon in Rheinland-Pfalz ist uns die Schlussmobilisierung der SPD auf die Füße gefallen. Diesmal war es nicht der Kampf zweier aussichtsreicher Kandidatinnen um die Frage, wer Ministerpräsidentin wird, die Teile der Wählerinnen und Wähler der GRÜNEN dazu verleitet haben, sich auf der Zielgraden lieber für eine starke SPD zu entscheiden, statt für die Sicherung der GRÜNEN im Landtag, sondern die medial stark rezipierte Angst, die AfD könne am Ende gar vor der SPD liegen. Die somit präsente Gefahr, dass die AfD stärkste Kraft werden könnte, war offenbar der entscheidende Mobilisierungsschub für WechselwählerInnen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur SPD. Dagegen war von Seiten der GRÜNEN faktisch, wie schon bei der Schlussmobilisierung in Rheinland-Pfalz, kaum etwas auszurichten.

4.) Die hohe Wahlbeteiligung

Hohe Wahlbeteiligungen sind faktisch ein erhebliches Problem für die relative Stärke von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Dies hat sich nach den Wahlen am 13. März nun auch deutlich in Mecklenburg-Vorpommern gezeigt.

Die Wählerinnen und Wähler von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weisen klassisch eine starke Wahlneigung auf. Es findet also regelmäßig bei Wahlen einer gute bis sehr gute Ausmobilisierung der Kernwählergruppen statt. Von steigenden Wahlbeteiligungen profitieren wir somit kaum noch, da unsere Kernwählerschaft schon bei niedrigen Wahlbeteiligungen stark wählen geht. Steigt dann die Wahlbeteiligung an, erhöht sich die Zahl der Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nur noch unterproportional, währenddessen die Zahl der abgebebenen Stimmen deutlich steigt. In der Folge sinkt der prozentuale Anteil unsere Wählerstimmen. Mit gleichem Absolutstimmenergebnis von 2011 wären wir bei der aktuellen Landtagswahl nur noch auf 7,3 % gekommen.

Dieses Problem verschärft sich, wenn die Wahlbeteiligung nur deshalb steigt, weil es einer Partei, also derzeit der AfD, gelingt, massiv temporäre NichtwählerInnen an die Urne zu ziehen, es also eine parteiabhängige Steigerung der Wahlbeteiligung gibt. Uns und auch den anderen Parteien ist es nicht gelungen, einen entsprechenden Gegenmobilisierungseffekt im Nichtwählersegment auszulösen, da diese für uns kaum mobilisierbar sind, weil jene, die für eine andere Politik stehen, bereits zum erheblichen Teil wählen gehen.

Das Ergebnis ist ein Kampf der demokratischen Parteien um das größte Stück vom stets gleich großen Kuchen, während die AfD einfach einen neuen Kuchen dazu stellt, von dem die demokratischen Parteien kaum etwas abbekommen, aber der als Kuchen in die Berechnung einfließt.

 

Drei vorläufige Lehren aus dem GRÜNEN Wahlergebnis

1.) Wahlergebnisse realistisch bewerten

Wir müssen unsere eigenen Wahlergebnisse noch realistischer bewerten. Mit der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern ist es absehbar die letzte Landtagswahl an uns vorüber gezogen, die zuletzt maßgeblich durch den starken positiven Bundestrend des Jahres 2011 beeinflusst wurde. Nach Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ist nun auch in Mecklenburg-Vorpommern als drittes Bundesland ein deutlicher – gleichwohl erwartbarer – Konsolidierungseffekt zu verzeichnen. Zu dieser Bewertung muss auch gehören, dass uns im Jahr 2011 auf Wählerinnen und Wähler gewählt haben, die damals vor allem mit der Wahl der GRÜNEN eine Unzufriedenheit mit grundsätzlich politischen Entscheidungen der Bundesrepublik Deutschland zum Ausdruck bringen wollten (Protestwahlverhalten). Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass wir sicherlich auch Wählerinnen und Wähler an die AfD verloren haben könnten – wenngleich auch deutlich weniger als jede andere im Landtag vertretene Partei. Dies ist jedoch in der Vergangenheit kaum im ausreichenden Maße rezipiert worden.

Wir müssen uns noch stärker als bisher den Fragen hinsichtlich der Ursachen positiver Wahlergebnisse für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellen. Erfolg darf nicht blind für seine Ursachen machen. Nur aus diesen Ableitungen können wir Schlussfolgerungen für unsere tatsächliche Verankerung ziehen und daraus tauglich Strategien entwickeln, wie ein deutliches Absacken, so in mehreren Bundesländern im aktuellen Jahr geschehen, verhindert werden kann.

Zu dieser realistischen Bewertung muss auch eine vernünftige Bewertung des Einflusses des Bundesergebnisses und der erwartbaren Wahlbeteiligung erfolgen. Wir müssen ehrlicher zu uns selbst sein, gerade auch bei Erfolgen.

2.) Erst der Landtag, dann die Regierung?

Gerade in den für uns strukturschwachen Regionen Deutschlands, vor allem in Ostdeutschland, müssen wir wahrscheinlich wieder stärker antizipieren, dass die primäre Erzählung, die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Wahlkampf leisten müssen, jene ist, warum es starke GRÜNE in einem Landesparlament zwingend braucht. Die zentrale Frage muss lauten: Wie steht es um grüne Themen, wenn wir nicht im Landtag vertreten sind? So einleuchtend dies klingen mag, so wenig kommunizieren wir dies mit unter ausreichend. Diese Korrektiv- und Artikulationsfunktion ist insbesondere zentral für jene Länder mit einer strukturell schlechten Ausgangslage für gute GRÜNE Ergebnisse.

Stärker als die Erzählung der Sinnhaftigkeit einer Regierungsbeteiligung, die der Logik nach auch zwingend den Einzug in den Landtag voraussetzt, ist diese Notwendigkeitserzählung geeignet, das Abdriften von Wählerinnen und Wähler in Zuspitzungswahlkämpfen, insbesondere in Richtung der SPD zu vermeiden, da die SPD beispielsweise kaum über eine zugeschriebene ökologische Kompetenz verfügt.

Dies bedeutet nicht, dass BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht den Anspruch haben sollten, regieren zu wollen. Es bedeutet aber, dass wir stärker die Notwendigkeit der Vertretung unserer politischen und gesellschaftlichen Vorstellung im Parlament artikulieren müssen.

3.) Kampf um Gesellschaftsbilder – Profil richtig schärfen

Die aktuellen Landtagswahlen sind nicht nur eine Auseinandersetzung mit der Bundespolitik, sondern auch und daraus abgeleitet, Wahlen, die sehr stark über unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich der Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, geprägt werden.

Mit dem Erfolg der AfD tritt immer deutlicher eine Auseinandersetzung um die Frage eines gesellschaftlichen Roll-backs in Deutschland in den Vordergrund. Die GRÜNEN sind mit ihrer emanzipatorischen und freiheitlichen Wertevorstellung das genaue Gegenbild zur AfD. Dies kann, gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen Beliebigkeit, wie sie SPD und Linke aufweisen, nach wie vor ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal sein. Wir müssen weiter klare Kante gegen die Feinde unserer freiheitlichen republikanischen Ordnung zeigen, für diese kämpfen und noch stärker in der politischen Auseinandersetzung deutlich machen, dass unsere demokratisch-republikanischen Errungenschaften nicht selbstverständlich sind, sondern sie stets aufs Neue verteidigt und mit Leben gefüllt werden müssen.

Jedoch müssen wir uns die Frage stellen, wie wir dieses Gegenbild genau verkörpern. Ein gesellschaftliches Gegenbild darzustellen heißt nicht mit der Keule permanent zu artikulieren, wogegen man ist, sondern für welches positive Gegenteil man denn tatsächlich eintritt. Was es zu verteidigen gilt, ist die stärkere Frage, als gegen wen wir es verteidigen wollen. Wir müssen stärker den Kampf für unsere gegenbildlichen Werte und Positionen in den Vordergrund stellen, anstatt allein darauf zu setzen, dass uns Menschen wählen, weil wir gegen Rechtspopulisten sind (das weiß die geneigt Wählerschaft bereits und es ist nicht zwingend ein Grund, deshalb einzig und allein GRÜN zu wählen). Zentrale republikanische Werte, wie Freiheit, Menschlichkeit und Gerechtigkeit müssen stärker als geschlossenes Gesamtbild gegen die Erzählung der AfD gestellt und als zentraler Antagonismus zur AfD aufgebaut werden.

Weiteren Folgeüberlegungen (auch für Sachsen)

An meiner wesentlichen Bewertung hinsichtlich der politischen Auswirkungen der jüngeren Wahlen auf andere Bundesländer, insbesondere Sachsen, hat sich nichts geändert. Diese finden sich umfänglicher hier: https://blog.valentinlippmann.de/?p=23

Nach den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern gilt jedoch umso mehr zu konstatieren:

1.) Kann die SPD glaubhaft vermitteln, den Ministerpräsident zu stellen und wird es diesbezüglich nach Rezeption der Medien oder der Auffassung der Wählerinnen und Wähler knapp, haben wir ein erhebliches Wechselwählerproblem von GRÜNEN in Richtung der SPD.

2.) Rot-Rot-Grün ist durch die annehmbare derzeitige deutliche Schwäche der LINKEN rechnerisch endgültig im Bereich des Unwahrscheinlichen angekommen. Das Bündnis ist aber qualitativ durch den Zwang der LINKEN zu einer Richtungsentscheidung und die plötzlich tatsächlich gegebene Möglichkeit, dass die SPD vor der LINKEN liegen kann, dabei allerdings nicht zwingend vollständig ausgeschlossen. Viel wird davon abhängen, wie sich die LINKE hinsichtlich ihrer Wählerinnen und Wähler zukünftig verorten will. Je stärker sich der „Wagenknecht-Kurs“ auf Bundesebene durchsetzt, umso unrealistischer wird qualitativ die Option in den ostdeutschen Bundesländern. Entscheidet sich die LINKE jedoch für ein „Weiter so“, dann wird die Konstellation schlicht quantitativ kaum mehr möglich sein. Diesem Dilemma ist von Seiten der LINKEN derzeit nur schwer beizukommen.

3.) Die Bundestagswahl wird zur entscheidenden Richtungsfrage für die CDU, erst nach dieser Wahl werden wir faktisch endgültig die Ableitung treffen können, wie stark die CDU im Kampf um Wählerstimmen und Angst von Verlusten an die AfD in einigen Regionen der Bundesrepublik in Panik gerät. Hier wird insbesondere zu beobachten sein, wie stark im Bundestagswahlkampf und vor allem in der Vorbereitung regionale Absetzbewegungen einzelner Landesverbände (z. B. in Sachsen) zu verzeichnen sind.

 

Und die große Frage – wie mit den Erfolgen der AfD umgehen

Die AfD wird nicht trotz ihrer politischen Ausrichtung, ihren absurden Forderungen und ihres kaum tragbaren Personals gewählt, sondern in erheblichen Teilen genau deshalb. Die darüber hinaus gehende Programmatik der AfD ist für viele ihrer Wählerinnen und Wähler vollkommen irrelevant (anders ließe sich kaum erklären, warum sozial Benachteiligte eine Partei wählen, die für alles andere, als für soziale Gerechtigkeit steht), solange sie das Gefühl haben, dass der Habitus der AfD genau das ist, was sie seit langem in Deutschland vermisst haben – der Kampf gegen „die da oben“. Es ist somit offensichtlich leider eine irrige Annahme, die Wählerinnen und Wähler würden schon rechtzeitig erkennen, wie schlimm die AfD tatsächlich ist und sich von ihr zeitnah abwenden. Sie wissen teilweise sehr genau, wem sie ihre Stimme geben. Darin liegt allerdings auch eine große Schwäche der AfD. Je stärker sie sich mit den „Etablierten“ gemein macht, je stärker sie zu einem Teil „der Etablierten“ wird, umso stärker wird die Enttäuschung der Wählerinnen und Wähler sein.

Es ist ein zudem ein Irrglaube anzunehmen, dass die Wählerinnen und Wähler der AfD sich nach Abwendung von dieser in großen Teilen wieder für eine andere Partei entscheiden. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass sie sich der Wahl erneut grundsätzlich verweigern werden. Höchstens langfristig kann es gelingen, jetzigen Wählerinnen und Wähler der AfD, die vor allem aus politischer Unzufriedenheit wieder zur Wahl gegangen sind, zukünftig zur Wahl demokratischer Parteien zu überzeugen.

Mittelfristig ist das einzig Hilfreiche der Versuch einer weitgehenden Demobilisierung der Wählerinnen und Wähler der AfD; unter anderen durch Stärkung unser demokratisch-republikanischen Werteordnung, durch Agenda-Setting bei Themen, die für AfD-WählerInnen nicht von Relevanz sind und durch ein konsequentes Aufzeigen, wie schnell sich die AfD mit den Vorzügen eines politischen Systems gemein macht, das sie eigentlich bekämpfen will. Ob und wie dies gelingen kann, ist eine jener dringenden Fragen, die insbesondere demokratischen Parteien in unserer Republik zeitnah beantworten müssen