Der Super-Wahltag in Deutschland – Blick auf die Ergebnisse und einige Schlussfolgerungen für Sachsen

Am 14.03.2016 haben die Bundesländer Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz Sachsen-Anhalt gewählt. Die Wahlergebnisse werden von vielen als politisches Erdbeben in Deutschland gewertet. Erklärungsansätze gibt es viele, nicht alle können hier dargestellt werden, vielmehr geht es um einen Anriss möglicher Erkenntnisse. Im Folgenden wird daher kurz auf einige Befunde eingegangen werden und mögliche auch für Sachsen relevante Erkenntnisse sollen extrapoliert werden.

Vorweg gesagt: Auch wenn Wählerwanderungsstatistiken die Verschiebungen weniger tausend Wähler abbilden, Voodoo-Demoskopie sind, wird mangels besseren Zahlenmaterials auf diese abgestellt werden müssen.

1. Grundsätzliche Feststellung

Die Wahlen in den drei Bundesländern haben gezeigt, dass es keinen bundesländerübergreifenden Bundestrend mehr gibt. Die zyklenhafte Verschiebung der Wahlergebnisse in Ländern, die stets in einer Vielzahl durch Wahl und Abwahl ähnlicher Konstellationen in den Bundesländer nachvollzogen wurde, existiert derzeit in dieser Form nicht mehr. Die Wahlen haben gezeigt, dass es in den Bundesländern bei Landtagswahlen zwar nicht um Landespolitik, allerdings um die unterschiedliche landespolitische Auseinandersetzung mit Bundespolitik geht. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, bieten auch gute bundespolitische Trends keine Garantie mehr für landespolitischen Erfolg.

2. Der deutsche Rechtspopulist war in den vergangenen Jahren ein Nichtwähler

Mit Blick auf andere europäische Staaten fiel in den letzten Jahren stets auf, dass in Deutschland rechtspopulistische Parteien keinen geeigneten elektoralen Boden hatten. Das ist jedoch kein Ausdruck dessen, dass es diese Tendenzen in Deutschland nicht gegeben habe. Die Zustimmung zu rechtem Gedankengut war in den letzten Jahren konstant hoch, wie alle einschlägigen Erhebungen dazu stets vor Augen geführt haben. Die Wähler der neuen Rechten hatten bisher voll allem die Demokratie mit Missachtung durch schlichte Wahlenthaltung gestraft. Somit ist auch der Befund falsch, dass AfDler zu erheblichen Teilen von dem aktuellen Verhalten der sogenannten etablierten Parteien enttäuscht seien und daher ihr Kreuz bei der AfD setzen. Wichtig ist vielmehr, dass sich die AfD zu nicht unerheblichen Teilen aus einem Spektrum speist, das schon vor Jahren mit der Entscheidung, Wahlen fernzubleiben, mit dem demokratischen System der Bundesrepublik Deutschland gebrochen hat[1]. Die AfD bietet diesen Menschen wieder ein Vehikel, ihre Unzufriedenheit mit oder gar Ablehnung der parlamentarischen Demokratie auch an der Wahlurne ausdrücken zu können. Da diese Einstellungen nicht so schnell verschwinden werden, ist damit zu rechnen, dass ein erheblicher Teil der AfD allerhöchstens wieder ins Nichtwählermilieu verschwindet. Der Wahlabend hat vielleicht einmal mehr verdeutlicht: Demokratie basiert nicht zwingend darauf, stets alle Menschen mitzunehmen.

3. Das Ergebnis von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

a. Baden-Württemberg

Viele GRÜNE feiern Baden-Württemberg – zu Recht. Dennoch sollte man bei der Übertragung der Strategie auf andere Bundesländer vorsichtig sein. Es gilt, dass die GRÜNEN von Winfried Kretschmann vor allem eins lernen können, Macht klug zu nutzen und mit klugem exekutivem Regierungshandeln einen Koalitionspartner ins Abseits zu stellen. All jenen, die jetzt rufen „Kretschmann nicht kopieren, sondern kapieren“ sei gesagt: Die Politik, die Kretschmann gemacht hat, und sein Auftreten als Landesvater konnte er nur so realisieren und in Stimmen umwandeln, weil er bereits Ministerpräsident war. Ministerpräsident wurde er, weil es eine von einem nicht unerheblichen Maß an Protestwählern getragene Zeitenwende im Jahr 2011 gab[2]. Dies sieht man nicht zuletzt daran, dass Kretschmanns Beliebtheitswerte von 2011 zu 2016 durch die Decke geschossen sind. Kretschmann hat einen klugen exekutiven Regierungsstil genutzt, den man aber nur nutzen kann, wenn man überhaupt an der Regierung ist. Baden-Württemberg ist kein Wahlergebnis für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sondern für Winfried Kretschmann.

b. Rheinland-Pfalz

In Rheinland-Pfalz hat die GRÜNEN der Kretschmann-Effekt unter anderen Vorzeichen erwischt. Sie sind in die Sogwirkung eines sich auf Malu Dreyer gegen Julia Klöckner zuspitzenden Wahlkampfs geraten. Der Mangel an einem wahrnehmbaren charismatischen Spitzenpersonal in der Kombination mit grundsätzlich schlechten soziodemographischen Strukturen in Rheinland-Pfalz hätten bei der weiteren Dynamisierung des Wahlkampfes auch schnell das Ausscheiden aus dem Landtag bedeuten können, wie schon einmal 2006 geschehen. Ab dem Moment, in dem Rot-Grün selbst dem größten Optimisten als eine rechnerische Illusion erschien, eine Ampel höchstens als Notlösung galt und sich damit folgerichtig die Option eine großen Koalition auftat, waren die GRÜNEN abgemeldet. Wer ein Interesse an einer Regierungschefin Dreyer hatte, wählte halt SPD und nicht GRÜNE[3].

c. Sachsen-Anhalt

Das Wahlergebnis der Grünen in Sachsen-Anhalt ist bei Licht betrachtet zwar kein Ruhmesblatt, aber in Anbetracht der Gesamtumstände ein ordentliches Wahlergebnis. Es muss beachtet werden, dass BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erst 2011 aus der außerparlamentarischen Opposition in den Landtag zurückkehrten und das damalige Ergebnis mit 7,1 % trotz des Fukushima-Effektes verhältnismäßig schlecht war (die Grünen Rheinland-Pfalz erhielten 2011 aus dem Stand und aus der außerparlamentarischen Opposition heraus deutlich stärkere 16,1 %). Traut man den Wählerwanderungsstatistiken, so haben die GRÜNEN vor allem an die CDU Wähler verloren. Hierbei handelt es sich offensichtlich um jene Wähler, die 2011 von der CDU zu den Grünen gewechselt sind. Das Wahlergebnis zeigt: Auch in schwierigen gesamtgesellschaftlichen Situationen können GRÜNE es schaffen, in die ostdeutschen Landesparlamente einzuziehen.

4. Wichtige Befunde zu anderen Parteien

a. CDU

Die CDU steckt mit den Wahlergebnissen vom Wochenende endgültig in einem strategischen Patt. Die bisherige Annahme, eine Regierungsbildung im schlimmsten Fall mit der Bildung einer großen Koalition abzusichern, geht nicht mehr auf. Die Wahlergebnisse der AfD haben hier deutliche Verwerfungen in Gang gesetzt. Der CDU reichen nur noch komplizierte Dreierbündnisse (Schwarz-Rot-Grün, Schwarz-Rot-Gelb) zur Mehrheitssicherung oder aber politisch derzeit nicht haltbare Koalitionen (CDU/LINKE, CDU/AfD). Insbesondere in Dreierbündnissen droht jedoch der große Kompromiss in der großen Koalition zum größtmöglichen Kompromiss zu werden. Der Profilierung der einzelnen regierenden Parteien werden die Dreierbündnisse nicht dienlich sein, sie könnten die Erosion der vermeintlichen Volksparteien weiter vorantreiben.

Es ist vor der These zu warnen, dass nur die CDUler verloren haben, die sich wankelmütig gegen Merkels Flüchtlingspolitik gestellt haben. Bei dieser Betrachtung wird gerne vergessen, dass auch Rainer Haseloff nicht zu den glühenden Merkel-Unterstützern gehörte.

b. LINKE

Die LINKE ist eigentlich der größte Verlierer des Sonntags. Dies gilt vor allem, weil ihr ein Szenario droht, in der sie in der strategischen Bedeutungslosigkeit versinkt. Die Zuschreibung der Fundamentalopposition der Unzufriedenen verliert sie zunehmend an die AfD. Im Westen gelingt ihr, trotz eines soliden Bundestrends, nicht der Einzug in Landesparlamente. Eine weitere Regierungsbeteiligung rückt zudem mit Blick auf das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt in weite Ferne. Die Betrachtung des Wahlergebnisses in Sachsen-Anhalt lohnt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die ursprüngliche strategische Voraussetzung der Wahl sowie die Grundaufstellung der LINKEN und die Akzeptanz und Strahlkraft des Führungspersonals der Situation in Sachsen ähneln. Die LINKE hat mit Sachsen-Anhalt den Nimbus verloren, im Osten bei Rot-Rot-Grün naturgemäß den Ministerpräsidenten stellen zu können. Ähnlich wie in Sachsen ist die SPD gar nicht mehr so weit von der Linken entfernt, was allerdings nicht an der Stärke der SPD, sondern an der Schwäche der LINKEN liegt.

Es ist mit Blick auf die soziodemographischen Wahlauswertungen mit einer weiteren Schwächung der LINKEN auch in den anderen ostdeutschen Bundesländern zu rechnen. Sachsen und Sachsen-Anhalt sind sich, was Wählerschaft der LINKEN und Ausrichtung der Partei angeht, deutlich ähnlicher, als den Protagonisten lieb ist. Somit wird Rot-Rot-Grün in Sachsen zum schon mehrheitsmäßig noch schwerer als bisher zu realisierenden Projekt

c. SPD

Der Verlust des Volksparteistatus der SPD hat jetzt auch im Westen der Republik begonnen. Die SPD befindet sich in einem Zustand der Abhängigkeit von wählbarem Führungspersonal, wie lange nicht. Faktisch scheint nur eine charismatische Führungsfigur halbwegs in der Lage zu sein, die SPD über 30 %, in einigen Regionen Deutschlands über 20 % zu hieven. Programmatisch ist die SPD mittlerweile so stark entkernt, dass lediglich noch der harte Kern einer schrumpfenden Stammwählerschaft das Kreuz bei der SPD setzt. Der Trend zur Personalisierung bei der SPD wird fortschreiten. Gerade mit  Blick auf Sachsen muss allerdings konstatiert werden, dass Martin Dulig mit dem Konzept der Hyper-Personalisierung im Wahlkampf 2014 lediglich geringe Zuwächse verbuchen konnte.

d. FDP

Die FDP ist zurück. Der deutliche Einzug in die Landtage von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, sowie das denkbar knappe Scheitern in Sachsen Anhalt, zeigen, dass – wie eigentlich auch zu erwarten war – die FDP zurückkommen wird. Mit der Rückkehr der FDP wird das Koalitionsspektrum wieder weiter verbreitert werden.

5. Überlegungen für Sachsen: Zwei Chancen – ein Risiko

a. Die drohende Schwäche der LINKEN kann eine Chance für die GRÜNEN sein

Die annehmbare weitere Polarisierung und die Selbstfindungsphase der LINKEN bieten ein gut bestellbares Feld für GRÜNE – gerade in Sachsen. Die Basis der LINKEN ist nach allen vorliegenden Beobachtungen keineswegs so weltoffen und emanzipatorisch eingestellt, wie die Parteispitze dies gerne hätte. Die sächsische LINKE wird sich entscheiden müssen: Setzt sie auf weitere programmatische Klarheit und deutliche Abgrenzung zur AfD, drohen ihr deutliche Stimmenverluste, die weitere einschneidende Neuausrichtungsdebatten auch für die sächsische LINKE mit sich bringen können. Beginnt, wie mit Blick auf einige bundespolitische Diskussionen zu erwarten ist, ein Aufweichen der bisherigen Haltung in der Flüchtlingspolitik, wird sie ebenfalls Wähler verlieren, insbesondere in den links-urbanen  Großstadtmilieus. Sofern die GRÜNEN für diese Klientel eine tragfähige, konstruktive Alternative darstellen, besteht hier die Chance auf die Erweiterung ihrer Wählerschaft.

b. Von einem weiteren Rechtsruck des CDU könnten auch die GRÜNEN profitieren

In Sachsen gibt es insbesondere in den Großstädten auch noch Restbestände eines christlich grundierten, aber liberalen CDU-Wählerklientels. Versucht die CDU ihre Stimmenverluste nach rechts durch einen starken Rechtskurs, wie die Äußerungen von Kupfer und Tillich bereits vermuten lassen, entsteht in der Mitte ein Vakuum. Selbst wenn der Union das Aufhalten des Wählerschwundes nach rechts gelingt, dann nur um einen Preis, der die einst hart von Angela Merkel bei der SPD abgetrotzten Wähler in der Mitte preisgibt. Diese einzubinden und gleichzeitig, wie beschrieben, Verluste bei der LINKEN einzufangen, könnte ein Spagat werden, der nur mit einer für beide Wählersegmente ansprechenden und akzeptablen Klammer gelingt.

c. Mangelnde Regierungsperspektive als Gefahr

Rot-Rot-Grün in Sachsen ist in weitere Ferne gerückt, da keine Mehrheit absehbar in Aussicht steht. Schwarz-Grün ist aber mindestens genauso unrealistisch geworden, da eine Koalition mit der sächsischen Union zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufgrund der starken Rechtsaußenstrategie kaum in Rede stehen dürfte. Dieser Mangel an einer tatsächlichen Regierungsalternative für Sachsen birgt für die GRÜNEN das Risiko, dass sie den Wählerinnen und Wähler gegenüber kaum glaubwürdig die Durchsetzung programmatischen Handelns artikulieren können.

Insbesondere wenn es zu einem weiteren Rechtskurs der CDU in Sachsen kommt, wäre eine Annäherung an die Union insbesondere ein Problem für jene Wählerinnen und Wähler, die die CDU in der Mitte verliert und welche potentiell für die GRÜNEN erreichbar sind.

Das gegenwärtige Versetzen der alten Koalitionsoptionen bietet hier allerdings auch eine Chance. Die klassische – und aus allen und vorliegenden empirischen Befunden ableitbar problematische[4] – Koalitionsfalle existiert nicht mehr in einer dichotomen Ausprägung. Dreierbündnisse minimieren hier die Angriffsfläche deutlich und stärken eher noch einen Kurs der Eigenständigkeit mit entsprechender Präferenz.

6. Was heißt das möglicherweise für die GRÜNEN? (nur ein paar Ansätze)

Die sächsischen GRÜNEN brauchen ein wahrnehmbares politisches Personal, dem man in einer Regierung zutraut, GRÜNE Inhalte glaubwürdig und deutlich zu vertreten. Nur so können sie den Diskurs forcieren, dass es ein Mehrwert ist, wenn GRÜNE, egal in welcher Konstellation, regieren

Die GRÜNEN müssen das entschiedene gesellschaftliche Gegenbild zur AfD sein und bleiben und dies auch vor allem kampagnentechnisch forcieren, insbesondere dann, wenn die LINKE hier als Antagonistin ausfallen sollte. Das Erstarken der AfD und der Umstand, mit Frauke Petry die Bundesvorsitzende in Sächsischen Landtag zu haben, verlangt von den GRÜNEN, ihre Vorstellungen über eine modernen liberalen Gesellschaft noch stärker zu verdeutlichen.

Die GRÜNEN brauchen weiterhin eine starke – konstruktiv bejahende – Erzählung in der Flüchtlingspolitik, um insbesondere Verluste bei einer weiteren Radikalisierung der Union und der LINKEN auffangen zu können. Diese muss sich aber auch bisweilen von der SPD abheben.

Die GRÜNEN können und dürfen sich – trotz rechnerischer Unwahrscheinlichkeit – nicht vor dem Versuch des Aufbaus einer politischen Alternative in Sachsen drücken. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit der Ablösung der CDU derzeit recht gering erscheint, erhöhte ein Einstehen für eine Alternative gerade dann, wenn sie nicht in unmittelbarer Reichweite liegt, die Glaubwürdigkeit für das Eingehen breiterer Bündnisse.



[1] Die AfD erhielt nach den Berechnungen von infratest.dimap in Sachsen-Anhalt 41% ihrer Stimmen von Wählerinnen und Wählern, die bei der letzten Wahl nicht wählen waren. In Rheinland-Pfalz waren es 35% und in Baden-Württemberg 28%.

[2] Ich halte tatsächlich die erstaunlich hohe Zahl von GRÜNEN; die in BW zur AfD gewandert sein sollen, vor dem Hintergrund des Protestparteinimbus der GRÜNEN 2011 durchaus für möglich.

[3] Nach infratest.dimap haben 90.000 Wähler die GRÜNEN in Richtung SPD in Rheinland-Pfalz verlassen.

[4] Die detaillierten Auswertungen des Landtagswahl 2014 in Sachen haben nahezu identische Koalitionspräferenzen für R2G als auch für SG gezeigt.